An ihrer Seite (Away from Her)

von: Sarah Polley

Völlig unkitschig: In einem ruhigen Erzählrhythmus, gepaart mit einer unaufdringlichen Fotografie und einer besonnenen Musik, findet Sarah Polley die Filmmittel für eine angemessene visuelle Umsetzung dieser Liebesgeschichte.

R: Sarah Polley
Kanada 2006, 109 Minuten    

Vergangenheitsbewältigung gehört zu den beliebten Filmthemen. Dies gilt nicht nur für „große“ Geschichtsereignisse, sondern auch etwa für die Aufarbeitung einer verdrängten Begebenheit im persönlichen Leben. Steht eine solche Bewältigung deutlich im Mittelpunkt von Filmen wie „The Straight Story – Eine wahre Geschichte“ (David Lynch, 1999) oder auch Safy Nebbous „Der Hals der Giraffe“ (siehe Bildarchiv), so tritt dieses Thema etwa in Alexander Paynes „About Schmidt“ (siehe Bildarchiv) subtiler in Erscheinung: Vordergründig von der Gestaltung eines Rentnerdaseins handelnd, erweist sich „About Schmidt“ als eine Reise in die eigene Vergangenheit, bei der Schmidt den viele Jahre zurückliegenden Fehltritt seiner verstorbenen Frau vergibt – und sich selbst eingesteht, dass auch er nicht der perfekte Ehepartner war.  

Auch Sarah Polleys Spielfilmdebüt „An ihrer Seite“ („Away from her“), der am „Panorama“-Programm der Berlinale 2007 sowie an weiteren Filmfestivals (Toronto, Sundance) teilnahm und nun im regulären Kinoprogramm startet, handelt zwar vordergründig von der Erkrankung einer Frau. Der vielschichtige Film spricht aber ebenfalls tiefgründige Fragen an.  

Basierend auf der im „New Yorker“ vom Dezember 1999/Januar 2000 erschienenen Kurzgeschichte „The Bear Came Over the Mountain“ von Alice Munro, erzählt „An ihrer Seite“ von der an Alzheimer erkrankten Fiona (Julie Christie), die mit ihrem Ehemann Grant (Gordon Pinsent) in einem schönen Haus an einem idyllischen See wohnt. Fiona selbst entscheidet, sich in ein spezialisiertes Pflegeheim einweisen zu lassen. Grant willigt widerwillig ein, obwohl er sich insbesondere mit der Regel eines strikten Kontaktverbots in den ersten dreißig Tagen kaum anfreunden kann. Denn in den 44 Jahren ihrer Ehe waren sie niemals so lange voneinander getrennt.   Grants Liebe zu seiner Frau wird nicht nur durch diese von der Heimordnung erzwungene Trennung auf die Probe gestellt. Denn als er sie nach dieser Zeit erstmals im Pflegeheim „Meadowlake“ besuchen darf, stellt Grant bestürzt fest, dass Fiona ihn nicht mehr als ihren Ehemann erkennt. Denn in der Zwischenzeit hat sich Fiona dem schweigsamen, an den Rollstuhl gefesselten Aubrey (Michael Murphy) angenähert. Für Fiona ist Grant lediglich ein netter Bekannter, der sie regelmäßig besucht. Weil sie aber diese Besuche irgendwie auch verwirren, geht sie Grant aus dem Weg. Er lässt sich jedoch nicht beirren, und kommt nach Meadowlake, so oft er nur kann. Dadurch, dass er ihr wie früher vorliest und ihr von gemeinsamen Erlebnissen erzählt, versucht Grant, eine Brücke zu seiner Frau zu bauen, die – wie der Film-Originaltitel suggeriert – immer weiter entfernt von ihm zu sein scheint.  

Sarah Polleys Film erzählt nicht aus der Perspektive Fionas, sondern aus der Sicht ihres Ehemannes Grant. Dadurch wird es deutlich, dass es der Regisseurin nicht so sehr um den Krankheitsverlauf geht, sondern vorwiegend um eine Liebe, die durch die Krankheit einer harten Prüfung unterzogen wird. Der schmerzende Identitätsverlust seiner Frau ruft Grant seine eigenen Verfehlungen in Erinnerungen, auch wenn Grants Seitensprünge lange zurückliegen. Denn im angegriffenen Gedächtnis Fionas brechen die alten Wunden neu auf.   In der selbstlosen Liebe zu seiner sich ihm immer mehr entfremdenden Frau sieht Grant eine Möglichkeit, diesen Verletzungen wieder gutzumachen. Dass er dafür eine kurze Affäre mit Aubreys Frau Marian (Olympia Dukakis) in Kauf nehmen zu müssen meint, erscheint allerdings moralisch bedenklich. Dennoch: Durch den Krankheitsprozess lernt Grant, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten und die Liebe zu seiner Frau Fiona nach Jahrzehnten neu zu entdecken.  

„An ihrer Seite“ wandert auf dem schmalen Grat zwischen den großen Gefühlen und der Gefühlsduselei. Dass der Film nicht ins Rührselige abdriftet, verdankt er größtenteils den Schauspielern, wobei es insbesondere Julie Christie in glänzender Weise gelingt, etwa in ihren Blicken den schleichenden Krankheitsverlauf sichtbar werden zu lassen, und trotzdem ihre Schönheit und ihre Würde zu bewahren.  

Dass der Film in keinem Augenblick kitschig wird, liegt andererseits auch an der zurückgenommenen Inszenierung der erst 28-jährigen Regisseurin: In einem ruhigen Erzählrhythmus, gepaart mit einer unaufdringlichen Fotografie und einer besonnenen Musik, findet sie die Filmmittel für eine angemessene visuelle Umsetzung dieser Liebesgeschichte.  

Ungekürzte Fassung mit freundlicher Genehmigung des Verfassers José García www.textezumfilm.de